ENTSTEHUNG
Was ist Kunstradfahren
Kunstradfahren ist eine Radsport- und Ästhetiksportart, die zumeist in Sporthallen auf einem speziell dafür vorgesehenen Hallenrad (auch „Saalmaschine“ genannt) ausgeübt wird.
DISZIPLINEN
Einer-Kunstradfahren:
Im Kunstradfahren werden folgende Disziplinen unterschieden:
Einer-Kunstradfahren der Männer oder Frauen
Zweier-Kunstradfahren der Frauen und offene Klasse
Vierer-Kunstradfahren der Männer oder Frauen
Sechser-Kunstradfahren der Männer oder Frauen
Vierer-Einradfahren der Männer oder Frauen
Sechser-Einradfahren der Männer oder Frauen
In den Disziplinen 1er und 2er Kunstradsport der Männer bzw. Frauen werden Weltmeistertitel und im Juniorenbereich Europameistertitel vergeben. Darüber hinaus werden in Deutschland, der qualitativen und quantitativen Hochburg des Kunstradsports, nationale Meisterschaften im 4er und 6er Kunstradfahren der Männer und Frauen bzw. im 4er und 6er Einradfahren der Männer und Frauen ausgetragen. Die Meisterschaften werden auf Kreis-, Bezirks-, Landes- und Bundesebene , in den Kategorien Elite (Männer und Frauen), Junioren/Jugend (männlich/weiblich) sowie Schüler und Schülerinnen ausgetragen.
Beim Einer-Kunstradfahren werden Übungen auf einem Spezialrad gezeigt. Hierbei werden 30 Übungen in fünf Minuten gezeigt. Diese Übungen können einfache Grundelemente (z. B. rückwärts fahren, Stillstand, …), statische Stände (z. B. auf Sattel und Lenker), statisch turnerische Elemente (z. B. Handstände, Stützwaagen, Vorhebehalten oder Stützgrätschen), Steiger (Übungen, bei denen nur auf dem Hinterrad gefahren wird), Drehungen (= Pirouetten) (z. B. in einer Steigerposition auf dem Hinterrad), Übergänge (= translatorische Elemente) (von einer Steigerposition zur anderen), translatorische Rotationen (z. B. Lenkerstanddrehung (über der Achse des Vorderrades), Drehsprung (um das Vorderrad)), Sprünge und Hocken (z. B. Sprung vom Sattelstand zum Lenkerstand) sein.
Im Zweier-Kunstradfahren besteht die Kür aus zwei Teilen. In einem Teil (meist der erste) fahren zwei Sportler/innen auf zwei Rädern, überwiegend mit Griffverbindung, Übungen, die auch aus dem Einer-Kunstradfahren bekannt sind (z. B. Steiger). Einige Übungen werden dabei aber auch einzeln synchron präsentiert. In dem anderen Teil nutzen die Sportler gemeinsam ein Rad; hierbei können ebenfalls gemeinsam Stände (z. B. einer steht auf dem Sattel, der andere auf dem Lenker) gezeigt werden, es kommen jedoch sogenannte „Trageübungen“ (Einer fährt bekannte Steigerpositionen, der andere sitzt oder steht auf den Schultern) hinzu. Seit 2008 wird diese Disziplin bei Meisterschaften auch gemischt (Männlich/Weiblich) gefahren.
Beim Vierer- und Sechser-Kunstradfahren nutzt jeder Sportler sein eigenes Rad. Es werden keine dem Turnen verwandte Übungen gezeigt, sondern verschiedene Figuren möglichst synchron gefahren. Diese können entweder Niederrad (beide Räder haben Kontakt zum Boden) oder im Steiger (Vorderrad hat keinen Kontakt zum Boden) jeweils vorwärts oder rückwärts gefahren werden. In der Elite und bei den Junioren werden hierbei 25 Übungen in fünf Minuten gezeigt.
Das Vierer- und Sechser-Einradfahren ist ab 2008 keine internationale Disziplin mehr. In Deutschland wird Einradfahren weiterhin wie das Vierer- und Sechser-Kunstradfahren gezeigt.
In allen Disziplinen ist Deutschland absoluter Favorit. International um die vorderen Plätze kämpfen aber auch stets Österreich, Tschechien, Schweiz, Frankreich und immer mehr auch China. Die Hochburgen innerhalb Deutschlands befinden sich in Württemberg, im Rhein-Main-Gebiet und in Bayern.
DAS KUNSTRAD
Das Kunstrad, auch „Kunstfahrmaschine“ genannt, ist ein handgefertigtes Personenrad. Es ist mit Spezialreifen ausgestattet, was eine sichere Bodenhaftung auf ebener Fläche, z. B. Hallenboden oder Holzparkett, garantiert. Eine starre 1:1-Übersetzung ermöglicht schnelles Anfahren und Bremsen, außerdem ist durch den Starrlauf auch rückwärtsfahren möglich. Lenker und Sattel sind so beschaffen, dass man mit Gymnastikschuhen auf ihnen stehen kann. Die Lenkerholme müssen abgerundet oder durch Griffe geschlossen sein. Der Sattel muss fabrikmäßig hergestellt sein. Er darf eine Länge von maximal 300 mm, eine Breite von maximal 220 mm, und eine größte unbelastete Durchbiegung von 60 mm aufweisen. Die Kurbeln müssen von Mitte Tretlager bis Mitte Pedalachse eine Länge von 130–170 mm haben. Des Weiteren gibt es als Auftritte Dorne mit einer Maximallänge von 50 mm, welche beidseitig an den Achsen der Laufräder angebracht sind und mehr Übungen im Einer- und Zweierkunstradfahren ermöglichen. Verkehrssicher im Sinne der Straßenverkehrsordnung ist ein Kunstrad nicht. Üblicher Gebrauch auf Straßen würde das Rad zudem beschädigen, da es für den Betrieb auf ebenen Flächen ausgelegt ist.
Die Sportbekleidung besteht neben den rutschfesten Gymnastikschläppchen in der Regel aus einer festen Gymnastikhose (Leggings) und einem Trikot. Im Mannschaftssport muss die Mannschaft einheitlich gekleidet sein. In allen Disziplinen muss vor Wettkampfbeginn eine sportliche Präsentation erfolgen, eine Kürmusik ist erwünscht.
REGELN
Fahrfläche
Die Fahrfläche ist in der Regel ein Hallenboden aus Holz oder Linodur und muss bei internationalen Wettkämpfen 11 m × 14 m groß sein. Sie wird durch Seitenlinien begrenzt, diese dürfen nicht überfahren werden. An beiden Kreisen sind (nach dem aktuellen Reglement) jeweils 4 senkrechte Striche, die im gleichen Abstand sind. Um den Mittelpunkt (Kreis mit 0,5 m Durchmesser) sind zwei Kreise mit einem Durchmesser von 4 m und 8 m aufgezeichnet. Eine Übung muss normalerweise eine Halbe Runde, eine Runde, ein S oder eine 8 (= Wechselrunde) lang gezeigt werden. Bei der halben Runde bzw. normalen Runde muss man außerhalb des Vier-Meter-Kreises fahren. Bei einer Wechselrunde muss zweimal über den Mittelpunkt gefahren werden, und die beiden Schleifen müssen über den Acht-Meter-Kreis führen. Das S ist eine halbe 8, folglich muss der Mittelpunkt nur einmal getroffen werden.
Bei Sprüngen, Übergängen und Hocken ist nicht vorgeschrieben, wo man sie ausführt.
Alle Übungen im Kunstradfahren werden aus einem international geltenden Reglement ausgewählt. Sie müssen für die Kür vorausgewählt und bei der Jury mithilfe standardisierter Formulare eingereicht werden, den Wertungsbögen. Jede Übung hat einen Punktwert, welcher die Schwierigkeit der Übung berücksichtigt. Die Summe aller Schwierigkeiten bezeichnet die aufgestellte Schwierigkeitspunktzahl im Wertungsbogen.
Dies ist der Ausgangswert für einen Wettkampf. Wird der so vorgegebene Ablauf der Kür nicht eingehalten, gibt es Abzüge. Für die Abzüge ist die Jury verantwortlich. Eine Jury besteht aus einer Jury mit zwei bis drei Wertungsrichtern als Ansager (Wertung) und zwei bis drei Wertungsrichtern als Schreiber. Diese bewerten fortlaufend die Kür.
Die Kür selbst läuft nach strengen Vorgaben ab. Betreten der Fahrfläche, Begrüßung der Zuschauer durch Knicks oder Verbeugung, Einnahme der Startposition. Dann signalisiert der Sportler oder der Kommandogeber der Mannschaft durch das Signalwort „Start“ an den Zeitnehmer (ein Mitglied der Jury) den Beginn der Kür. Hierbei setzt auch die Musik ein. Ab jetzt muss binnen fünf Minuten das Programm absolviert werden. Unterbrechungen der Zeitnahme gibt es nur in absoluten Ausnahmefällen, z. B. bei technischen Problemen mit dem Rad oder bei Verletzungen des Sportlers.
Es gibt Abzüge bei der Schwierigkeit:
wenn die Übung nicht die komplette Wegstrecke gezeigt wird
bei Nichteinhalten der Reihenfolge
wenn die Übung nicht korrekt ausgeführt wird
bei Zeitüberschreitung
Weiterhin gibt es Abzüge für die Ausführung:
bei sichtbaren Unsicherheiten (Haltung, Fahrstil, unregelmäßiger Tritt, Streckfehler, …)
bei unsauberer Ausführung
bei Überfahren der Flächenbegrenzung
bei unkorrektem Abgang vom Rad (Fallenlassen des Rades am Ende der Kür)
bei Stürzen und kurzen Bodenberührungen (Tipper)
Der Trainer darf während der ganzen Kür die sogenannte Coaching-Zone nicht verlassen. Dies spielt besonders beim Radwechsel im Zweier (von zwei Rädern auf eines) eine Rolle, da die Sportler das überflüssige Rad zum Trainer transportieren müssen.
Die internationalen Regeln werden von der Union Cycliste International (UCI) aufgestellt.[1] Der UCI gehören die nationalen Radsportverbände an.
GESCHICHTE
Kunstradfahren (1950)
Bereits vor 1900 wurde Kunstradsport in den USA von Radakrobaten wie Nicholas Edward Kaufmann und John Featherly betrieben; sie verdienten damit ihren Lebensunterhalt.[2] War es zu jener Zeit eher die Beherrschung des Fahrrades und das Fahren einer bestimmten Wegstrecke, hat sich der Kunstradsport zu einer technischen Disziplin entwickelt, welche im Leistungssport auch vor Sportphysik und Sportpsychologie keinen Halt macht.
In Deutschland wurde der Bund Deutscher Radfahrer 1884 in Leipzig als Verein aus dem eher bürgerlichen Lager gegründet. In der DDR war von 1946 bis 1957 die Sektion Radsport des Deutschen Sportausschusses und ab dann der Deutsche Radsport-Verband der DDR (DRSV) für die Radsportarten zuständig. Am 7. Dezember 1990 erfolgte die Vereinigung der beiden Verbände zum Bund Deutscher Radfahrer.
Der Rad- und Kraftfahrerbund Solidarität RKB wurde 1896 als „Arbeiter-Radfahrerbund Solidarität“ in Chemnitz gegründet. Mit dem Namen Arbeiter-Radfahrerbund Solidarität dokumentierte der Verein die Zugehörigkeit zur Arbeiterbewegung.
Der Weltverband Union Cycliste Internationale (UCI), wurde am 14 April 1900 in Paris gegründet. Der Sitz der UCI befindet sich in Aigle (Schweiz).
Die Schweizer Verbände: Schweizerischer Radfahrer-Bund (SRB), Fédération Cycliste Suisse (FCS), Federazione Ciclistica Svizzera (FCS), Federaziun Svizra da Ciclists (FSC), Swiss Cycling Federation (SCF) haben sich unter dem Namen Swiss Cycling zusammengeschlossen.[3] Als Gründungsjahr wird in der Satzung 1883 angegeben.
In Österreich gehört der Kunstradsport zum Auto-, Motor- und Radfahrerbund Österreichs ARBÖ. Er wurde am 30. April 1899 als Verband der Arbeiter-Radfahrer-Vereine Österreichs in Wien gegründet und hat sich in den folgenden Jahrzehnten zu einer Serviceorganisation für Mitglieder weiterentwickelt.[4]
Kunstradfahren ist zwar keine olympische Sportart, war aber 1989 in Karlsruhe einmal im Programm der World Games vertreten.
VORAUSSETZUNGEN FÜR DAS BETREIBEN DES SPORTS
Einer- und Zweier-Kunstradfahren ist eine Leistungssportart. Es stellt vor allem hohe Anforderungen an die technischen und koordinativen Fähigkeiten und Fertigkeiten des Sportlers. Präzise Ausführung der einzelnen Bewegungsabläufe, Gleichgewichtsgefühl, Kondition, Kraft, mentale Stärke, Dehnfähigkeit, graziöse Körperhaltung und schnelle Reaktionen sind unabdingbar für das Ausüben dieses Sports. Nur eine gute Dehnfähigkeit z.B. ermöglicht eine vollkommene Nutzung des beschränkten Platzes des Fahrrads. Ein ehemaliger Bundestrainer bezeichnete Kunstradfahren einmal als „vollendetste Version des Geräteturnens“, viele Zuschauer und Sportwissenschaftler erkennen ebenfalls die besondere Herausforderung. Vergleiche mit Eiskunstlauf, Tanz, Turnen, usw. zeigen hierbei nur einen Bruchteil der Schwierigkeit.
Im Vierer- und Sechser-Kunstradfahren sind hingegen (ähnlich wie beim Synchronschwimmen) weniger die körperlichen Voraussetzungen ausschlaggebend, als vielmehr die präzise Perfektion, Synchronität und Teamgeist und ebenfalls schnelle Reaktionen.
DAS TRAINING
Das günstigste Einstiegsalter liegt zwischen fünf bis sieben Jahren, also sobald das Radfahren beherrscht wird. Zwischen sechs und zwölf Jahren steht das Grundlagentraining im Mittelpunkt der Ausbildung. Schwerpunkte: zunächst allgemeines später spezielles Koordinationstraining. In diesem Alter liegt die sensible Phase für die koordinative Schulung, daher wird diese hier in erster Linie geschult. Darüber hinaus erfolgt auch ein altersgemäßes Technik- und Konditionstraining. Zwischen 13 und 16 Jahren erfolgt das Aufbautraining mit den Schwerpunkten, Verbesserung der speziellen Koordination, der speziellen Beweglichkeit, Intensivierung der Technik, allgemeines und spezielles Krafttraining, Spezialisierung für Einer- oder Zweier-Kunstradsport. Der Trainingsaufwand beträgt vier Trainingseinheiten pro Woche jeweils zwei bis drei Stunden.
Zwischen dem 15. und 16. Lebensjahr beginnt das Leistungstraining. Schwerpunkte sind hierbei komplexes Techniktraining, gezieltes Kraft- und Ausdauertraining sowie mentales Training. Steigerung des Trainings und Erhöhung der Wettkampfhäufigkeit. Der Trainingsaufwand beläuft sich dann zwischen vier und fünf Trainingseinheiten pro Woche jeweils ca. drei bis vier Stunden. Ab 17 Jahren erhöht sich dann der Trainingsaufwand nochmals entscheidend, insbesondere wird die Wettkampfhäufigkeit nochmals erhöht.